Virtuelle Archive

Virtuelle Archive

Vereinfachte schematische Darstellung der kulturobjekt-bezogenen Datenverarbeitung.


Das Schlagwort „Digitalisierung“ ist seit Jahren in aller Munde. Was das im konkreten Fall heißen kann, wurde auf der Abschlusstagung des Verbundprojekts „Virtuelle Archive für die geisteswissenschaftliche Forschung“ deutlich, die am 20./21. Juni 2019 in Dresden stattfand. Welche Wege der Digitalisierung und Publizierung von Kulturerbe im benachbarten Sachsen beschritten werden, das wollte ich als Mitarbeiter der Forschungsstelle natürlich gern erfahren, und so fuhr ich nach Dresden und kam in den Genuss von 20 aufschlussreichen Referaten, die tiefe Einblicke in die mit dem Verbundprojekt in Zusammenhang stehenden Arbeiten gewährten.

In zahlreichen Bibliotheken, Archiven, Universitäten und ähnlichen Einrichtungen „schlummert“ noch kulturelles Erbe in Form von Büchern, Manuskripten, Noten, Postkarten, Fotos, Dias, Tonbändern, Videokassetten usw. In den meisten Einrichtungen ist in sog. Findbüchern (z. B. Kataloge, Karteikarten oder Datenbanken) vermerkt, was vorhanden ist; man spricht von „erfassten Archivalien“. Oft sind diese zwar erfasst, aber ohne oder mit nur wenigen Details in Datenbanken eingegeben, und die meisten Archivalien sind noch nicht digitalisiert. Die Möglichkeit, Archivschätze online zu recherchieren, bietet derzeit nur ein verschwindend geringer Teil der Archive und Forschungseinrichtungen in Deutschland.

Nicht zuletzt deswegen wurde im Mai 2017 ein Kooperationsprojekt zwischen mehreren namhaften, in Sachsen ansässigen geisteswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen (siehe Aufführung unten) aus der Taufe gehoben. Zu den miteinander verwobenen Zielen gehörten umfassende Erschließung und Digitalisierung von für die Kulturgeschichte Sachsens relevantem Archivgut in großem Umfang, die Präsentation der Archivalien mit geeigneten Datenbanken auf den einrichtungseigenen Homepages sowie u. a. die Einrichtung des übergeordneten Regionalportals Saxorum, das die Datenbestände der beteiligten Institute bündelt und einen Knotenpunkt in der Vernetzung bildet.

Bei den zahlreichen Präsentationen wurde deutlich, dass viele geisteswissenschaftliche Einrichtungen vor ähnlichen Herausforderungen stehen, wenn es um die Erschließung, Digitalisierung und Online-Stellung von Kulturobjekten geht.

Für die Erfassung und Erschließung ist eine in der Einrichtung selbst befüllbare Datenbank unabdingbar, vorzugsweise mit der Möglichkeit, sog. Normdaten einzugeben. Normdaten ermöglichen eine weltweit gültige, eindeutige Identifikation vor allem von Personen, Körperschaften, geistigen Werken, Orten, Zeiten, Veranstaltungen und Sachbegriffen. Die von der Deutschen Nationalbibliothek betreute, ständig wachsende „Gemeinsame Norm-Datei“ (GND) wird von immer mehr Einrichtungen bei der Dateneingabe verwendet und umfasst mehrere Millionen Einträge.

Nun ist dem interessierten Nutzer mit einer hausinternen Datenbank natürlich noch nicht weitergeholfen, denn damit bequem recherchierbar ist, an welcher Einrichtung sich welche Archivalien befinden, müssen Informationen über selbige (sog. Metadaten) online verfügbar sein. Und soweit das die Rechtslage zulässt, sollten die Kulturobjekte auch digitalisiert und die daraus resultierenden „Digitalisate“ online einsehbar sein. Was für Bibliotheken seit Jahren Standard ist, setzt sich nun auch immer mehr in Archiven, Forschungseinrichtungen, Museen usw. durch. Viele Bestände kann man inzwischen auf einrichtungseigenen Homepages finden, zusätzlich wachsen die Datenbestände in Regionalportalen wie Bavarikon und in sog. Meta-Portalen wie Deutsche Digitale Bibliothek, dem zugehörigen Archivportal-D oder Europeana ständig.

Und hier erweisen sich die erwähnten Normdaten als sehr vorteilhaft, weil sie meist Voraussetzung für den Datenexport an übergeordnete Portale sind und eine auf Verlinkungen basierende, interaktive Vernetzung zwischen den Portalen ermöglichen.

Neben diesem ganz klaren Trend wurde auf der Tagung aber auch deutlich, dass die zur Erschließung eines Kulturobjekts gehörende, vor einer Online-Stellung von Digitalisaten zwingend vorzunehmende Klärung aller betroffenen Rechte (z. B. Urheber-, Interpreten- oder Vervielfältigungsrechte) komplex und zeitaufwändig sein kann, zumal die gesetzlichen Vorgaben auf mehreren Ebenen geregelt sind und sich kontinuierlich ändern.

Ein Wermutstropfen ist auch, dass vor allem in kleineren Archiven ein riesiger Nachholbedarf bei der Erschließung und Digitalisierung der darin befindlichen kulturellen Schätze besteht. Diesen Einrichtungen mangelt es oft an Know-how, Vernetzung mit anderen Archiven, Personal und / oder finanziellen Mitteln. Hier macht jedoch die Tatsache Mut, dass seitens der Politik mittels entsprechender „Fördertöpfe“ noch nie so viel Geld für Digitalisierungsprojekte zur Verfügung stand wie jetzt.

Prof. Dr. Thomas Bürger, Generaldirektor a. D. der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden und Mit-Initiator dieses zweijährigen Verbundprojekts, zog eine positive Bilanz und sprach sich in seinem Resümee für eine noch stärkere Vernetzung aus – nicht nur zwischen den geisteswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen, Archiven und Bibliotheken untereinander, sondern auch zwischen Kulturwissenschaftlern und IT-Spezialisten. Er plädierte auch für sog. „best practice“: Archive, Forschungsinstitute usw., für welche Digitalisierung und Online-Datenbanken noch Neuland sind, sollten keine Angst vor Fehlern haben und einen ähnlichen Weg beschreiten.

In diesem Sinne ist die Forschungsstelle für fränkische Volksmusik auf einem guten Weg, denn der bereits auf unserer Homepage befindlichen Lied-Datenbank sollen weitere Bereiche folgen, und im Zuge des Bavarikon-Projekts „Traditionelle Volksmusik aus Franken“ sind auch wir dabei, die Verwendung von Normdaten aus der GND zu etablieren, denn unsere Archivbestände sollen in nicht allzu ferner Zukunft auch in Meta-Portalen auffindbar sein. Das obenstehende Diagramm veranschaulicht in stark vereinfachter Weise den Workflow vom (Kultur-)Objekt zu dessen Repräsentation in Online-Datenbanken.

Christoph Meinel


Homepages der Verbundprojekt-Partner:
- Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
- Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e. V.
- Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e. V.
- Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow
- Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa
- Universität Leipzig – Deutsches Literaturinstitut
- Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig
- Sorbisches Institut e. V.


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