Eine Muh, eine Mäh

Eine Muh, eine Mäh

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Wenn es ein Wort gibt, das den jedes Jahr aufs Neue geäußerten Weihnachtswunsch meiner Mutter in meinen Kindertagen beschreibt, dann ist es „besinnlich“. Und damit ist sie nicht allein, denn das typische deutschsprachige Weihnachtslied möchte das auch sein - besinnlich. Das
Motto, unter dem meine ältere Schwester und ich den Heiligen Abend begehen wollten, lässt sich hingegen eher mit „lustig, lustig, tralalalala“ zusammenfassen.

Verglichen mit dem heute hier vorgestellten Weihnachtslied hat „Lasst uns froh und munter sein“ (dem die Liedzeile „lustig, lustig, tralalalala“ entnommen ist) allerdings einen regelrecht gesitteten Charakter. Ein Weihnachtslied, das Spaß und Vorfreude nicht nur in kindliche Worte, sondern auch in mitreißende Musik fasst, sucht man im deutschsprachigen Raum fast vergeblich - wäre da nicht ein Schlager aus dem Jahr 1912 (manche Quellen nennen auch 1914, was darauf zurückzuführen ist, dass das Stück im 15. Band von Hofmeisters Handbuch der musikalischen Literatur unter den Neuerscheinungen der Jahre 1914-1918 gelistet ist). Damals noch hinter dem gar zu gewöhnlichen Titel „Der Weihnachtsmann kommt“ versteckt, hatte der Sänger, Komponist und Textdichter Wilhelm Lindemann (1882-1941) ein Lied veröffentlicht, das schon bald als „Eine Muh, eine Mäh, eine Tätärätätä“ bekannt und beliebt werden sollte. Aus ist’s mit der Besinnlichkeit, stattdessen steigt die Gaudi – und das bis heute.

Schlagerstars wie Wolfgang Petry, Michelle oder Peter Alexander haben das Lied in ihr Weihnachtsrepertoire aufgenommen, auf der Videoplattform Youtube finden sich Choreografien für und mit Kindergruppen und bei Weihnachtsshows im Fernsehen wird es als Stimmungskanone gezündet - und jetzt alle: Ei - ne Muh, ...! Ältere Fassungen stehen diesen modernen und auf Medienkonsum gemünzten Interpretationen in Sachen Gaudi übrigens
keineswegs nach, wie etwa eine Aufnahme der Chansonnière Marita Gründgens aus dem Jahr 1935 zeigt. Deren für die Zeit typischer frecher, leicht ordinär anmutender und manchmal ins Sprechen übergehender Gesang wird nämlich abwechselnd von schamlosem Ziegengemecker, einer dissonanten Tröte und einem herrlich schrägen Kinderchor ergänzt. Wau, wau, wau, ratatsching-daderatabum!

Man kann Wilhelm Lindemanns Liedchen für die Weihnachtszeit unpassend oder albern finden, man kann es konsumkritisch lesen (an Weihnachten sollte es schließlich nicht um die Geschenke gehen!) und man kann es musikhistorisch betrachten. Aber vielleicht sollten wir gerade in diesem besonderen Jahr einfach mal so mutig sein und es singen. Laut, versteht
sich. Denn letztlich hat der Komponist etwas in Worte und Melodie gekleidet, was wir alle tief in uns tragen und wofür es manchmal offenbar Kinder braucht, die uns daran erinnern: FREUDE!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude und ausreichend Tätärätätä, sollten Sie sich dazu entschließen, bei Marita Gründgens oder aber bei dieser historischen Aufnahme (ab 0:50 min) aus unserem Schallarchiv mitzusingen:

Erste fränkische Bauernkapelle Dorn, Muh-Mäh Schottisch (vor 1914)
https://volksmusik-forschung.de/assets/files/Downloads/FFV_SP_0339_B001.mp3

Marita Gründgens, 1935
https://www.youtube.com/watch?v=XDkGmjzBwRQ

Quellen:
https://deutschelieder.wordpress.com/2012/12/25/wilhelm-lindemann-eine-muh-eine-maeh/
https://www.lieder-archiv.de/eine_muh_eine_maeh-notenblatt_200300.html
Heidi Christ: „Der Weihnachtsmann kommt“ über https://volksmusik-forschung.de/blog/2017-12-20/der-weihnachtsmann-kommt/

Julia Gilfert


Kommentare (1)

  1. Jutta Frick:
    10 Dez 2020 um 15:12

    Vielen Dank, Julia, für deine sehr informative, mutmachende, hoffnungsfroh stimmende, fröhliche Beschreibung dieses Liedes. Sie passt sehr gut zum Inhalt und zur Melodie, auch wenn diese nicht besinnlich sind.


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