Stehet still und lauert ein wenig

„Um Lichtenfels“, „aus der Gegend von Lichtenfels“, „aus der Gegend um Lichtenfels überliefert“ lauten die vagen Quellenangaben zu dem von Anfang an bei Fränkischen Weihnachten gern gesungenen Lied „Stehet still und lauert ein wenig“. Dahinter steckt eine Publikation aus dem Jahr 1941. Franz Berthold hat seinerzeit „Die schönsten Weihnachtslieder des Klosters Langheim“ für vierstimmigen gemischten Chor bearbeitet und schreibt im Vorwort: „Die vorliegenden ‚schönsten Weihnachtslieder des Klosters Langheim‘ fand Lehrer Hans Eisfelder bei familiengeschichtlichen Forschungen unter dem Nachlaß seines Urgroßvaters Josef Fleischmann, der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in der Gegend von Lichtenfels als Lehrer beamtet war. ... Offenbar handelt es sich um volkstümliches Liedgut, das im ehemaligen Zisterzienserkloster ... vererbt wurde und das, ursprünglich einstimmig gesungen, in der Zeit des aufblühenden vierstimmigen Männerchores von einem Klosterinsassen für diese damals neue Chorbesetzung eingerichtet wurde. Im Original ist nur mehr eine 1. Tenorstimme und eine unvollständige Baßstimme vorhanden, welch letztere in der vorliegenden Bearbeitung zugunsten einer flüssigeren Stimmführung völlig unbeachtet blieb." Es handelt sich um folgende zehn Lieder:
Das Jesulein in dem Krippelein liegt // Krippenlied
Laßt uns das Kindelein wiegen // Wiegenlied
Jetzt ist die Welt recht neu geborn // Gnadenzeit
Kommet her zur Krippen, schaut das liebe Jesulein // Kommet her zur Krippe!
Jubel und Freudenton erklinget heut // Neujahrslied
Kommet ihr Hirten all!
O angenehmer Tag!
Erstaunt, o Himmel!
Stehet still und lauert ein wenig!
Stille Nacht, heilige Nacht!
Die Ortschaft Klosterlangheim liegt etwa fünf Kilometer südlich von Lichtenfels. Nach dem Kloster Ebrach (1127) wurde 1132/33 an dieser Stelle eines der ersten Zisterzienserklöster in Europa gegründet, das Filiationen in Plasy (Tschechien, 1146) und Schlägl (Österreich, 1202) hatte, sowie für die zisterziensischen Frauenklöster in Sonnefeld, Himmelkron, Schlüsselau, Himmelthron und Maidbronn zuständig war. Vom 5. auf den 6. Mai 1802 wütete ein großer Brand, der Klostergebäude beschädigte und zerstörte, auch viele Bände der Klosterbibliothek wurden ein Raub der Flammen. Ein Jahr später wurde Kloster Langheim säkularisiert und es entwickelte sich die Ortschaft Klosterlangheim mit eigener Verwaltung.
4.200 Bände aus der Klosterbibliothek, vorwiegend Werke zu Theologie, Kanonischem Recht und Naturwissenschaften werden heute in der Staatsbiblothek Bamberg bewahrt. Ob sich darunter auch das oben erwähnte Manuskript mit den Weihnachtsliedern befindet, ist derzeit ebenso wenig geklärt, wie die Fragen, ob dieses Manuskript überhaupt noch existiert oder jemals wirklich existiert hat. Fakt ist, dass sich die übrigen, von Franz Berthold publizierten Lieder weder mithilfe unserer Datenbank noch des Internets anderweitig nachweisen oder irgendwie zielführend einordnen lassen. Natürlich lässt sich „Stille Nacht, heilige Nacht“ bestens einordnen, doch macht die Bemerkung Bertholds aus dem Vorwort hierzu stutzig: „Das bekannte Weihnachtslied ‚Stille Nacht, heilige Nacht‘ von Mohr-Gruber, das auf dem Original-Manuskript als Nr. 10 nur mit dem Titel angegeben ist, wurde aus praktischen Erwägungen in den Kreis der ‚Langheimer Weihnachtslieder‘ einbezogen.“ - War wirklich dieses Lied gemeint? Das Lied von Franz Xaver Gruber und Joseph Mohr erklang erstmals 1818, kann also nicht aus der Zeit aktiven Klosterlebens „vererbt“ worden sein. „Lasst uns das Kindelein wiegen“ – dieses Lied wird mit unterschiedlichen Melodien gesungen, die älteste und bekannteste datiert 1604, der Text soll laut Max Friedlaender einem „unbekannten Geistlichen aus der Zeit der Gegenreformation“ stammen und ebenfalls 1604 erstmals publiziert worden sein. Die bei Berthold aus dem Kloster Langheim wiedergegebene Melodie stimmt aber nicht mit den anderweitig veröffentlichten Melodien zu diesem Lied überein, sie scheint vielmehr aus dem 18. oder 19. Jahrhundert zu stammen. Die übrigen acht Lieder sind nur in der genannten Veröffentlichung – und in deren Weiterverwendung – belegt.
„Stehet still uns lauert ein wenig“ jedenfalls wurde in den Kanon der Lieder zur „Fränkischen Weihnacht“ aufgenommen und 1979 in der weithin bekannten Publikation von Hans Mehl und Erwin Zachmeier abgedruckt. Der dortige Quellenhinweis „aus der Gegend um Lichtenfels“ sowie die Verwendung der Lieder „Kommet ihr Hirten all“, „Kommet her zur Krippen“, „Erstaune o Himmel“ weisen darauf hin, dass den Herausgebern die Bertholdsche Veröffentlichung bekannt gewesen sein muss. Für „Lasst uns das Kindelein wiegen“ steht die Melodie aus der Sammlung Ditfurth, die ebenfalls nicht mit der Fassung von 1604 konform geht.
Die Effeltricher Sänger, genauer Alfons Freund, haben „Steht still und lauert ein wenig“ um eine Strophe ergänzt, die von den beiden aus Kloster Langheim bekannten umrahmt wird:
Kommt ihr Hirten kommt in Eile zu dem Stall nach Bethlehem.
Suchet dort nach einem kleinen Kindlein denn das Wunder ist geschehn.
Bringt ein Schäflein mit als Gabe für das arme Jesulein.
Schauet nach dem Licht am Sternenhimmel, das soll euer Weiser sein.
Hier singen sie, begleitet von Heribert Frantz (1936-2014): https://www.youtube.com/watch?v=GA4lm58kfdM
Quellen und weiterführende Literatur:
http://landschaften-in-deutschland.de/themen/81_b_114-kloster-langheim/
https://www.obermain.de/lokal/obermain/art2414,457146
https://www.hdbg.eu/kloster/index.php/detail/geschichte?id=KS0184
https://www.nordbayern.de/region/forchheim/emotionen-im-juradom-1.369075 (Fränkische Weihnacht des FSV in Hetzelsdorf - 08.12.2010)
Berthold, Franz (Bearb.): Die Schönsten Weihnachtslieder des Klosters Langheim. Op. 53. Ausgabe A: für vierstimmigen gemischten Chor. Altötting: Alfred Coppenrath (H. Pawelke) [1941].
Mehl, Hans; Zachmeier, Erwin (Hgg.): Fränkische Weihnacht. Die Weihnachtsgeschichte in Nürnberger Mundart mit fränkischen Liedern zur Advents- und Weihnachtszeit. Nürnberg: Albert Hofmann 1979, S. 30.
Friedlaender, Max; Kommission für das Volksliederbuch]: Volksliederbuch für gemischten Chor. Partitur. Erster Band. Leipzig: C.F. Peters [1915], Nr. 88
Heidi Christ
Kommentare (0)
Kommentar schreiben: