Weiß sind schon die Wälder

Weiß sind schon die Wälder

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Lieder im Musikunterricht zu singen gehörte in der DDR zum Pflichtprogramm. Neben ideologisch geprägten Pionier- und Partisanenliedern natürlich auch jede Menge Volkslieder. Einige davon mussten wir auswendig lernen. So erging es mir mit „Bunt sind schon die Wälder“ – ein Herbstlied mit einer so wunderschönen Melodie (mit einem beachtlichen Tonumfang von knapp über einer Oktave), die mir so gut gefiel, dass ich das Lied dank fleißigem Üben in kürzester Zeit auswendig konnte. Dass darin die Schönheit der Natur und Facetten des bäuerlichen Lebens auf romantisierende Weise besungen werden, war für mich damals nebensächlich. Höchst seltsam kam mir allerdings die Behauptung vor, dass an irgendwelchen Geländern gestreifte Pfirsiche reifen sollen, denn das konnte ich mir nicht erklären, und soweit ich mich erinnere, war der Text nur zum Auswendig-Lernen da und nicht zum Analysieren. Mit dem Geländer ist hier sicherlich ein Spalier gemeint, an dem der Pfirsichbaum entlangwächst.
Verantwortlich für diesen Text ist der Schweizer Dichter Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762–1834). Trotz adliger Abstammung stand er der Wahrung von Menschenrechten und den Ideen der Französischen Revolution aufgeschlossen gegenüber. 1782 dichtete Salis-Seewis das mit „Herbstlied“ betitelte Gedicht „Bunt sind schon die Wälder“, abgedruckt wurde es erstmals im von Johann Heinrich Voß herausgegebenen Musen-Almanach (Neustrelitz 1786) – damals umfasste es ganze sieben Strophen.
Fehlt noch die Melodie. Es gibt einige Vertonungen, darunter auch von Franz Schubert (1816), der einige Gedichte von Salis-Seewis vertont hat. Die mit Abstand verbreitetste aber – die, die mir so gut gefällt – wurde 1799 von Johann Friedrich Reichardt (1752–1814) komponiert. Als königlicher-preußischer Hofkapellmeister bei König Friedrich II. von 1775 bis zu seiner Entlassung 1794 war der progressive und mit der Französischen Revolution sympathisierende Komponist und Schriftsteller nicht glücklich, denn er musste mit dem konservativen Musikgeschmack von Friedrich dem Großen zurechtkommen.
Jetzt fragen Sie sich sicher, was dieses Herbstlied in unserem Adventskalender zu suchen hat. Die Antwort ist einfach: Anlässlich unserer Betriebsweihnachtsfeier in der Forschungsstelle 2018 habe ich mir erlaubt, in enger Anlehnung an die meist drei Strophen, die heute gesungen werden, eine kleine Umdichtung vorzunehmen. So sind die einleitenden Wälder nicht mehr bunt, sondern weiß, und aus der Schönheit des Herbstes wird eine Kritik am konsumorientierten vorweihnachtlichen Treiben. Das war natürlich vor der Corona-Pandemie, die uns nun seit dem 18. Dezember wieder einen „Schließrunter“ beschert hat. Einen Lockdown, den hoffentlich möglichst viele Einzelhändler in den Innenstädten finanziell überleben mögen.

Zum Weiterlesen:
https://www.lieder-archiv.de/bunt_sind_schon_die_waelder-notenblatt_300082.html
https://www.welt.de/welt_print/vermischtes/article4772338/Endlich-Herbst.html

Christoph Meinel


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