Name ist Schall und Rauch?
Schall im übertragenen Sinne ja, Rauch mitnichten. Wird ein Objekt falsch benannt, kann es sein, dass es nicht gefunden wird, weil der Recherchierende andere Begriffe bei der Suche verwendet. Ist ein Objekt zu allgemein benannt und enthält zu wenig Zusatzinformationen, kann es sein, dass es in der Menge möglicher Treffer untergeht. Trägt man beispielsweise eine Flöte in eine Instrumentendatenbank ein und spart mit zusätzlichen Informationen, kann es passieren, dass diese Flöte in Datenbank-Netzwerken in der Masse von tausenden weiteren Flöten schlicht untergeht. Da sind Bezeichnungen wie Blockflöte oder Okarina - je nach Flötentyp - vorteilhaft. Das Vergeben möglichst eindeutiger Namen ist für Archivalien von großer Bedeutung, denn sie erleichtern das spätere Auffinden über Datenbanksysteme.
Während meiner Arbeit an unserer Instrumentendatenbank habe ich festgestellt, dass es mitunter schwierig sein kann, ein Musikinstrument eindeutig zu benennen. Da hilft dann nur streng analytisches Vorgehen, was ich am Beispiel des Instruments Nr. 184 einmal verdeutlichen möchte. Für bewanderte Volksmusikfreunde mag dies nichts Neues sein, für Laien offenbaren sich jedoch vielleicht ganz interessante Details.
Instrument Nr. 184 in unserer Datenbank
Voilà. Ein wesentliches Merkmal dieses Instruments ist der auseinanderzieh- und zusammendrückbare Balg in der Mitte. Das lässt auf ein Instrument schließen, das Töne durch Luftströme erzeugt - ein Aerophon. Um genau zu sehen, wie die Tonerzeugung vonstatten geht, muss man entweder das Instrument aufschrauben und hineinsehen - wovon ich dringend abraten möchte - oder man nimmt die äußeren Merkmale genauer unter die Lupe und spielt das Instrument an.
Der innere Aufbau sei vorweggenommen: Instrument Nr. 184 zählt zur Gruppe der selbstklingenden Unterbrechungsaeorphone, d.h. der erzeugte Luftstrom bringt Lamellen in Schwingung, die den Luftstrom periodisch unterbrechen. Innerhalb dieser Gruppe zählt es zur Untergruppe der Durchschlagzungenspiele, d.h. viele Lamellen, die durch jeweils genau passende Öffnungen hindurchschlagen, sind in einem einzigen Instrument vereint. Zu dieser Untergruppe zählen Harmoniums, Mundharmonikas und Handzuginstrumente.
Anfangs habe ich das Vorhandensein eines Balgs festgestellt, und offensichtlich dienen die Knöpfe an den Seiten unseres Instruments zur Betätigung mit den Händen. Die Betätigung des Balgs mit den Füßen (wie beim Harmonium) oder gar mit dem Mund wäre sehr schwierig bzw. unmöglich. Daraus schließe ich, dass Nr. 184 mit den Armen gehalten und den Händen gespielt wird. Und damit steht fest: Es handelt sich um ein Handzuginstrument. Das ist in unserem Falle zwar eine triviale Erkenntnis, bei"exotischen", schwieriger zu bestimmenden Instrumenten ist eine solche Herangehensweise - mit Hilfe eines detaillierten Klassifikationssystems - jedoch vorteilhaft.
Landläufig auch "Ziehharmonikas" genannt, gliedern sich die Handzuginstrumente in die drei Instrumententypen Akkordeons, Konzertinas und Bandonions. Alle drei lassen sich noch weiter unterteilen. Darüber hinaus gibt es Frühformen, patentierte Instrumente mit differierenden Benennungen und auch Mischformen (z.B. die Bandonika).
Zurück zu Instrument Nr. 184. Zeit, es einmal anzuspielen. Ich stelle fest: Auf Zug erklingen beim Drücken der meisten Knöpfe (52 von 72) andere Töne als beim Zusammendrücken des Balgs. Unser Handzuginstrument ist somit wechseltönig, denn das Drücken mindestens eines Knopfes bringt auf Zug und Druck zwei verschiedene Töne hervor. Diese Erkenntnis hilft leider nicht viel, denn bei allen drei genannten Instrumenten gibt es - mehr oder weniger häufig - auch wechseltönige Typen. Ausschließen kann ich aber die gleichtönige Englische Konzertina sowie das ebenfalls gleichtönige moderne Akkordeon.
Beim Durchtesten der Knöpfe auf der Bass-Seite ist mir aufgefallen, dass bei Betätigung eines einzigen Knopfes niemals ein Akkord ertönt, sondern immer nur ein einzelner Ton bzw. mehrere Töne im Oktavabstand (Mehrchörigkeit). Das führt mich zu der Erkenntnis, dass ich es nicht mit einem Akkordeon und auch nicht mit einer Bandonika zu tun habe, weil Akkorde nur durch Betätigung mehrerer Knöpfe gleichzeitig erklingen können. Das engt den Kreis der Verdächtigen auf Bandonion- und Konzertina-Typen (außer Englische Konzertina) ein.
Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Bandonion und Konzertina ist die Tonbelegung der Knöpfe. Hilfreich bei Instrument Nr. 184 ist, dass über den Knöpfen Zahlen und Symbole angebracht sind:
35 Knöpfe auf der Bass-Seite (in Spielhaltung links)
37 Knöpfe auf der Diskant-Seite (in Spielhaltung rechts)
Das sind zusammen 72 Knöpfe, und somit ist unser Handzuginstrument - weil wechseltönig - als 144-tönig definiert. Das legt den Verdacht nahe, dass es sich um ein 144-töniges Einheitsbandonion handeln könnte, zumal die Knöpfe in jeweils fünf Reihen angeordnet sind. Und tatsächlich: Ein Vergleich mit der Grifftabelle des Einheitsbandonions (nachzusehen bei Dunkel 1987, S. 61) bestätigt das. Zusätzliche Indizien dafür, dass es sich um ein Bandonion und nicht um eine Konzertina handelt, sind der sehr große Tonumfang (D bis a'''), die vergleichsweise stattliche Größe des Instruments (ca. 23 x 40 x 26 cm) sowie der auf einer am Instrument angebrachten Plakette zu lesende Herstellerhinweis: "Alfred Arnold, Bandoneonfabrik, Carlsfeld/Erzgeb.". In die Datenbank kann ich nun also u.a. eintragen: Bandonion, wechseltönig, 144-tönig, Einheitsbandonion. Warum wir in der Forschungsstelle dieses Instrument Bandonion nennen und Alfred Arnold es als Bandoneon bezeichnete, das berührt die Thematik der Terminologie, die wiederum einen eigenen Beitrag wert ist.
Eintrag von Instrument Nr. 184 in unserer Datenbank
Man sieht an diesem vergleichsweise einfachen Beispiel, wie sehr man mitunter ins Detail gehen muss, um Musikinstrumente eindeutig benennen zu können. Im Zuge der zunehmenden Online-Vernetzung von Datenbanken (z.B. durch Europeana) ist eine gewissenhafte und wissenschaftlich korrekte Dateneingabe durchaus nötig, damit Forscher und andere Interessierte in der Lage sind, schnell das zu finden, wonach sie suchen.
Christoph Meinel
Literatur:
> Degelmann, Ingeborg: Die Konzertina. Harmonie zwischen Perlmutt und Perloid. Bayreuth: Regierung von Oberfranken 2000. [Heimatbeilage zum Oberfränkischen Schulanzeiger Nr. 268]
> Dunkel, Maria: Bandonion und Konzertina. Ein Beitrag zur Darstellung des Instrumententyps. München / Salzburg: Musikverlag Emil Katzbichler 1987. [Berliner musikwissenschaftliche Arbeiten 30]
> Focht, Josef und Herbert Grünwald (Hg.): Konzertina, Bandonion, Akkordeon. Die Entwicklung der Harmonika-Instrumente und ihr Spiel in Bayern. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung. München: Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e.V. 1999. [Volksmusiksammlung und -dokumentation in Bayern E 12]
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