Altes neu gedacht
An dieser Stelle finden Sie Eindrücke von unserer Teilnahme an der Tagung der Kommission zur Erforschung musikalischer Volkskulturen in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V., die vom 3. bis 5. Oktober 2012 an der Katholischen Akademie Stapelfeld unter dem Thema „Altes neu gedacht „ - Rückgriff auf Traditionelles bei Musikalischen Volkskulturen stattfand. Wir sammeln und forschen nicht nur, wir möchten unsere Erkenntnis auch gern mit anderen teilen und dazu lernen. Die in zweijährigem Rhythmus stattfindenden Tagungen der DGV-Kommission geben dazu gute Gelegenheit, deshalb machten Armin Griebel und ich uns am 3. Oktober auf die lange Reise nach Stapelfeld bei Cloppenburg und kamen voller guter Eindrücke, interessanter Denkansätze und neuer Freundschaften wieder zurück. Insgesamt 16 Referenten aus ganz Deutschland beschäftigten sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit dem Tagungsthema, wobei sich immer wieder zeigte, dass die Fragestellungen, Untersuchungsergebnisse, Ideen und/oder musikalischen Praktiken nahezu überall die Gleichen sind.
Norddeutsche Folkmusikgruppen beginnen, regionale überlieferte Musik für ihr Repertoire zu nutzen, stellte Ralf Gehler (Hagenow) fest. Sie haben entdeckt, dass das, was in Irland, Frankreich oder Skandinavien funktionierte - nämlich heimische Musiken und Instrumente zu spielen und damit Identitäten zu schaffen - auch in Deutschland geht.
Durch und durch vertraut mit den Gesetzmäßigkeiten traditioneller fränkischer Kerwamusik mischt die Band „Kellerkommando“ um David Saam Elemente fränkischer Volksmusik mit Ska, Hip-Hop, Punk und Rap, erreicht damit über die Region hinaus Publikum aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten und steht bei einem Major-Label unter Vertrag. Armin Griebel stellte das Bandprojekt vor, das regionale Traditionen und urbane Grooves vereinigt.
Diese Verbindung zwischen Altem und Neuem gehen auch Musiker in Weißrussland ein, wie aus dem Vortrag von Klaus Näumann (Köln) deutlich wurde.
Vor diesem Hintergrund scheint es befremdlich, wenn in Oberbayern kontroverse Diskussionen darüber geführt werden, ob die „richtigere“ oder „echtere“ Volksmusik aus dem Lager der Traditionalisten oder aus dem Lager der „Tradimixler“ kommt. Ernst Schusser (Bruckmühl) listete in seinem Vortrag die lange Tradition oberbayerischer Volksmusik mit all ihren Wandlungen und Neuerungen auf, um letztlich den aktuellen Medienhype um jene Gruppen anzuprangern, die traditionelle Melodien mit Pop-, Rock- und anderen modernen Rhythmen mischen und damit angeblich die Volksmusik „entstauben“.
Dass Gebrauchsmusik ständig Wandel und Neuerungen unterworfen war, da von je her neben politischen und sozialen Faktoren auch Tanzmoden, technische Neuerungen und sich verändernde Klangvorstellungen auf die Spielgelegenheiten ländlicher Musikanten einwirkten, konnte ich in meiner Dissertation zum Thema „Musikantenhandwerk“ - die ich bei der Tagung vorstellen durfte - am Beispiel der Hersbrucker Alb nachweisen. Traditionelle Musik muss sich geradezu für neue Entwicklungen öffnen, muss ihre Funktionen behalten und darf keineswegs in der musealen Pflege einer nie dagewesenen Beschaffenheit erstarren.
Wie wichtig in diesem Bereich das Wissen und Können von „Laien“ ist, zeigten die Beiträge von Elvira Werner (Chemnitz) und Thomas Kühn (Hamburg). Elvira Werner berichtete über Geschichte und Gegenwart des Bandonionbaues und -spieles im Erzgebirge. Bandonions werden heute wieder verstärkt eingebunden in den gegenwärtigen Tourisumus- und Kulturalltag und tragen zur Aufwertung von „Regionalkultur“ bei. Genauso wie Thomas Kühn, der über Instrumentenbauer, Rekonstruktionen, Neuentwicklungen und das dabei entstandene Expertenwissen historischer Musikinstrumente forscht, wies sie auf die herausragende Bedeutung einer neuen Trägerschicht hin, die in ihrem Wirken Laienschaffen und Professionalität verbinden.
Weitere Referate widmeten sich der popularmusikalischen Praxis zwischen Traditionspflege und Innovationspostulat (Heiko Fabig, Stapelfeld), der modernen Rezeption mittelalterlichen Minnesangs (Marguerite Rumpf, Marburg), Beethoven/Schillers „Ode an die Freude“ im Spannungsfeld von Klassik und Pop (Gisela Probst-Effah, Köln), den volksmusikalischen Traditionen bei Joseph von Eichendorff (Ernst Kiehl, Quedlinburg), dem Kölner Lied zwischen Tradition und Innovation (Günther Noll, Köln), dem Tango (Gertrud A. Arlinghaus, Vechta), Punkkonzerten in Deutschland (Kirsten Seidlitz, Köln), dem Verhältnis zwischen griechischen und türkischen Traditionen (Wolf Dietrich, Sulzheim) und schließlich auch den unterschiedlichen musikalischen Traditionen in Astrachan (Elena Schischkina, Astrachan). Wer sich für diese Themen interessiert, darf mit Spannung den Tagungsband erwarten und sich den Oktober 2014 vormerken. Dann wird die nächste Tagung der Kommission in Würzburg stattfinden. Sie ist offen für alle Interessierten.
Heidi Christ
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