Von Holzauktionen, Kobolden und modernen Omas

Von Holzauktionen, Kobolden und modernen Omas

Was hat – musikalisch gesehen – eine Holzversteigerung in Berlin mit alten Damen zu tun, die wie verrückt in Hühnerställen herumfahren und Luxus-Nachttöpfe benutzen? Nachdem die Schülerinnen und Schüler der Klasse 7aG der Bomhard-Schule Uffenheim zahlreiche vermisste Omas gefunden haben, die in Hühnerställen und anderswo ihren Freizeitbeschäftigungen nachgehen (wir berichteten), habe ich den Suchradius noch etwas vergrößert, um die Entstehungsgeschichte dieses beliebten Liedes etwas näher zu beleuchten.

Wir begeben uns zunächst in den waldreichen Berliner Stadtteil Grunewald des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Im Grunewalder Forst wurden bis Anfang des 20. Jahrhunderts viele Hektar Wald gerodet. Das so gewonnene Holz wurde teils klafterweise (1 preußischer Holzklafter = ca. 3,5 Kubikmeter) versteigert. Es war wahrscheinlich Otto Teich aus Leipzig (1866-1935), der 1890 vor diesem Hintergrund den berühmten Text zu „Im Grunewald, im Grunewald ist Holzauktion“ (siehe unten) verfasste. Diesen Text wiederum integrierte Franz Meißner in einen vierteiligen Rheinländer, den er 1892 veröffentlichte. In der etwas später erschienenen Fassung von Otto Teich aus Leipzig besteht dieser Rheinländer aus denselben vier Teilen, von denen der dritte mit einer auch heute noch bekannten und gern gesungenen Melodie versehen ist.


„Die Holzauction“. Rheinländer. Stimme für Es-Klarinette, Bestandteil einer 24-stimmigen Blasmusikbesetzung. 2. Auflage, mit Genehmigung des Originalverlegers Otto Teich in Leipzig. Trio hervorgehoben. Beleg: Kapelle Eichinger, Fürth (Signatur: FFV_KT_0057_DM_902).
Text des 1. Teils: Im Grunewald, im Grunewald ist Holzauction (usw.)
Text des 2. Teils: Links um die Ecke rum, rechts um die Ecke rum, überall ist große Holzauction (usw.)
Text des Trios: Der ganze Klafter Süßholz kost' 'nen Thaler (usw.)

Die Melodie dieses Trios benutzte wiederum Robert Steidl (1865-1927) bei der Komposition seines 1922 erschienenen, sehr erfolgreichen Stimmungsliedes „In der Jugend tut es wohl“ als Refrainteil, wobei er aber einen anderen Text verwendete: „Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen...“.

Und da haben wir den Bezug zu unserer Großmutter. Es ist anzunehmen, dass dieser wohl wegen des Oma-Motivs sehr populäre Refrain sich im Volksmund verselbstständigte und – nicht nur in Deutschland – zu einem eigenständigen strophischen Lied mit immer neuen Text-Varianten avancierte. Das Incipit „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ ist erstmals belegt in einer Aufzeichnung von 1942 (Quelle: Deutsches Volksliedarchiv, Freiburg).


„Meine Oma“. Transkription von Ernst Kiehl (1973), Vorsänger waren Schüler einer 7. Klasse aus Rottleberode und anderen Orten. Aus dem Buch: Kiehl, Ernst: Die Volksmusik im Harz und im Harzvorland. Band II: Volksmusikalischer Teil. Clausthal-Zellerfeld: Pieper 1992, S. 825 (Signatur: FFV_LK_0096,2).

Später entstanden, wohl vor allem in Schülerkreisen, zahlreiche weitere Strophen, die interessante Details aus dem Leben unserer luxusorientierten Power-Oma preisgeben – von der Benutzung geblümten Toilettenpapiers über die Behauptung, sie mahle Kaffee mit Atomkraft bis hin zu Panzerfahrten ins Finanzamt. Hier spiegelt sich zuweilen durchaus der jeweilige Zeitgeist wider, wobei der Kreativität der Textdichter/-innen kaum Grenzen gesetzt waren und sind.

Unabhängig von dieser Entwicklung veröffentlichte die norwegische Kinderbuchautorin Margrethe Munthe (1860-1931) bereits anno 1911 ein Lied, das die Melodie des ersten Teils von „Im Grunewald ist Holzauktion“ für die Strophen und die Melodie des Trios für den Refrain verwendet. Das so neu entstandene Lied mit dem (heutigen) Titel „På låven sitter nissen“ („In der Scheune sitzt ein Kobold“) handelt von einem Glück bringenden Kobold (Nisse), der in der Scheune sitzt und seine Grütze isst. Dabei wird er von ein paar Ratten gestört, die auch etwas abhaben wollen. Der Nisse versucht vergeblich, sie mit dem Kochlöffel zu vertreiben. Erst als er mit der Katze droht, verschwinden sie. Einen schönen Animationsfilm zu diesem Lied finden Sie hier. Ursprünglich gab es wahrscheinlich keinen inhaltlichen Bezug zum Weihnachtsfest, jedoch ist der einem Mini-Nikolaus nicht unähnliche Julenisse (Weihnachtskobold) einer der häufigsten Vertreter der Nisse-Zunft, wodurch es dazu gekommen sein mag, dass dieses Lied in Skandinavien besonders zur Weihnachtszeit häufig gesungen wird.

Dies waren nur vier Beispiele dafür, wie eine Melodie auf traditionelle Weise adaptiert, mit neuen Texten kombiniert und so immer wieder verändert und neu kontextualisiert werden kann. Kennen Sie weitere Text- oder Liedvarianten? Ist Ihnen die Melodie schon einmal ganz woanders begegnet? Kennen Sie Strophen zu „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“, haben Sie vielleicht sogar selbst welche gedichtet? Lassen Sie es uns wissen!

Christoph Meinel


Kommentare (9)

  1. CARLOS ENRIQUE PRAHL PASCH:
    11 Mär 2015 um 13:03

    Herr Christoph Meinel

    Ich finde Ihre Erklärung seht gut. Das ist was ich suche.
    Ich schreibe nun ein Buch, auf Spanisch, über Lieder. Eigentlich eine Sammlung von 8 Bücher, Liebeslieder, Berlinerlieder, Kinderlieder, usw. Das erste wird über Trink und Stimmungslieder.

    Bishe habe ich schon 510 Lieder gesammelt, und ich stelle den Text, Übersetzung auf Spanisch, Noten und am Ende eine Erklärung mit dem Liedes Geschichte, Ort wo es geschrieben wurde,und anders so die Spanischsprachige Lesere können sich bewundern und schatzen was eigentlich das Lied sagt und ihnen gefällt es so wie mir.

    Nun habe ich zwei Frage für Sie: 1. Haben Sie noch andere Lieder so wunderbar erklärt? Trinklieder?
    2. Was wäre die richtige Übersetzung auf Spanisch für "Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen"? Daß wir saufen und haben auch das Häuschen von Oma das Geld von der Hypothek in Alkohol ausgegeben? Oder daß wir in das Haus von Oma gehen und darin saufen? Ich glaube die erste, aber ich habe gwfunden eine Übersetzung auf Englisch die sagt etwas anders.

    Bitte schreiben Sie mich zu carlosprahl@gmail.com

    Ich heiße Carlos Enrique Prahl Pasch, wohne in Guuatemala.

    Danke

  2. Christoph Meinel:
    11 Mär 2015 um 16:03

    Sehr geehrter Herr Prahl Pasch,

    vielen Dank für Ihr Interesse an meinem Artikel! Zu Ihren beiden Fragen:

    1. Meine Nachforschungen speziell zu diesem Lied haben sich wegen eines Projekts mehr oder weniger zufällig ergeben. Leider kann ich selbst nicht mit weiteren derartigen Aufsätzen zu anderen Liedern dienen, jedoch empfehle ich Ihnen die Lektüre des "Historisch-Kritischen Liederlexikons", eine Online-Veröffentlichung des Zentrums für Populäre Kultur und Musik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau: http://www.liederlexikon.de

    2. Sie vermuten richtig: Mit "Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen" [hochdeutsch: "Wir versaufen das kleine Häuschen unserer Oma"] ist gemeint, dass große Geld-Summen in Alkohol investiert werden, die die Größenordnung des Gegenwerts einer Immobilie erreichen können - natürlich scherzhaft gemeint. In einigen Lied-Varianten heißt es dann auch: "Wir versaufen unser Omama klein Häuschen [...] und die erste und die zweite Hypothek."

    Ich hoffe, damit konnte ich Ihnen weiterhelfen und verbleibe

    Mit freundlichen Grüßen
    Christoph Meinel

  3. Dominik George:
    17 Dez 2017 um 17:12

    Der Dortmunder Kinderliederautor und Musiklehrer Klaus Neuhaus verwendet den ersten Teil für sein „In Bodelschwingh ist Schweinemarkt“.

  4. Rudolf Pietsch:
    13 Jan 2018 um 20:01

    Lieber Christoph,
    alle Achtung und Respekt! Daß Ihr in Franken eine wunderbare Forschungsstelle betreibt, hat ja (fast) gute Tradition. Immer wieder ist man überrascht. Schaue gerne bei Euch nach, wenn ich etwas suche oder wissen will. Danke für den Hinweis mit der Holzauktion. Würde mich sehr über ein Wiedersehen mit Armin und Heidi und Dir freuen.
    Lieben Gruß und alles Gute
    Rudi Pietsch

  5. Katrin Moelke:
    25 Jan 2018 um 12:01

    Mir ist etwas Seltsames aufgefallen, als ich nach Helga Feddersens "Katzen-Polka" (Dance little Cat) recherchierte stieß ich auf ein Stück für Bläser von dem Wiener Komponisten Carl Michael Ziehrer, von 1892, welches Katzen-Polka (Opus 441) (nicht identisch mit der o.g. Katzen-Polka) heißt und haargenau die selbe Melodie hat wie die Holzauktion und die Oma-ihr-Kleinhäuschen. Da "Rheinländer" auch in Österreich getanzt werden bin ich nun am Rätseln wer sich denn da bei wem "inspiriert" hat...

  6. Christoph Meinel:
    26 Jan 2018 um 11:01

    Sehr geehrter Herr George,
    vielen Dank für diesen Hinweis auf eine weitere Vertextung der Holzauktion-Melodie, in diesem Falle offenbar gemünzt auf das Schloss Bodelschwingh oder den gleichnamigen Dortmunder Stadtteil.
    Mit besten Grüßen
    Christoph Meinel

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    Lieber Rudi,
    vielen Dank für Dein Interesse und Dein Lob, das ich gern an die KollegInnen weitergebe. Aus kleinen Liedanfragen oder Noten-Desideraten ergeben sich bei uns immer mal wieder kleinere "Nachforschungsprojekte", die, wenn man sich die Zeit nimmt ihnen nachzugehen, teils hochinteressante Zusammenhänge zutage fördern.
    Herzliche Grüße
    Christoph Meinel

    -------------------------

    Sehr geehrte Frau Moelke,
    haben Sie vielen Dank für diesen wertvollen liedgeschichtlichen Hinweis. Die Katzen-Polka von Carl Michael Ziehrer hatte ich nicht auf dem Radar. In der Tat sind die Übereinstimmungen in den Melodien - vor allem beim 1. Teil (Im Grunewald, im Grunewald ist Holzauktion) und im Trio (Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad) so stark, dass das kein Zufall sein kann. In Franz Meißners „Rheinländer“ (spätere Veröffentlichung von Otto Teich siehe oben) finden sich typische Punktierungen in der Melodie des 1. Teils, welche bei der Katzen-„Polka“ fehlen. Wie Sie richtig bemerkten, ist auch Ziehrers Werk 1892 erstveröffentlicht worden, also im selben Jahr wie die Erstausgabe von Franz Meißners „Holzauction“. Dass hier „abgeschrieben“ wurde ist nicht gesagt, denn es ist durchaus möglich, dass Melodien mit Ohrwurm-Charakter weit verbreitet waren und Komponisten, Arrangeure und Texter vielerorts und im selben Zeitraum zu kreativem Umgang mit ihnen anregten. Genaueres lässt sich für diesen Fall ohne weitere Quellen allerdings nicht sagen - wir bleiben dran!
    Mit besten Grüßen
    Christoph Meinel

  7. E. Gra:
    29 Dez 2019 um 17:12

    Polnische version:

    Przepijemy naszej babci domek ma?y,
    domek ma?y, domek ma?y
    i kalosze, i bambosze, i sanda?y
    jeszcze dzi?, jeszcze dzi?, jeszcze dzi?.

    Przepijemy naszej babci majty w krat?,
    majty w krat?, majty w krat?,
    takie du?e, flanelowe i w?ochate
    jeszcze dzi?, jeszcze dzi?, jeszcze dzi?.


    Przepijemy naszej babci domek ca?y,
    domek ca?y, domek ca?y
    i ten kurnik, co go kury obgdaka?y
    jeszcze dzi?, jeszcze dzi?, jeszcze dzi?.

    Przepijemy naszej babci sztuczn? szcz?k?,
    sztuczn? szcz?k?, sztuczna szcz?k?
    i sko?czymy wreszcie ?piewa? t? piosenk?
    jeszcze dzi?, jeszcze dzi?, jeszcze dzi?.


    Przepijemy naszej babci wszystko w domu,
    wszystko w domu, wszystko w domu,
    przepijemy nasz? babci? po kryjomu
    jeszcze dzi?, jeszcze dzi?, jeszcze dzi?.

    https://www.youtube.com/watch?v=WEmlwDt9Qa8

  8. Christoph Meinel:
    10 Jan 2020 um 13:01

    Vielen Dank für diese beiden polnischen Versionen, in denen neben "unser Oma ihr klein Häuschen" (naszej babci domek maly) auch ihre Pantoffeln, ihr Hund, ihre Katze, die Stadt Kraków / Krakau und einiges mehr Verwendung finden. :-)


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