Neu bei uns

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… sind einige wunderschöne und spannende Blechblasinstrumente aus dem Nachlass von Dr. Karl Heinz Wirz (1930–2015), die uns sein Sohn Dr. Ulrich Wirz im Auftrag der Familie am Montag übergeben hat. Karl Heinz Wirz hat die Instrumente in den 1980er Jahren vor dem Müllcontainer gerettet, als der Gesangverein 1833 Kulmbach sein altes Vereinsheim verlassen musste. Vermutlich aus Platzgründen, und weil man sie eben nicht mehr gebrauchen konnte, sollten die Instrumente damals tatsächlich verschrottet werden.

Karl Heinz Wirz, geboren in Rockenhausen (Rheinland-Pfalz), wuchs in Kaiserslautern auf, studierte Tiermedizin in München und ließ sich schließlich 1962 als Tierarzt in Melkendorf bei Kulmbach nieder. In seiner Jugend konnte er eine sehr gute Musikausbildung am Pfalztheater Kaiserslautern genießen, wo er bei einer Korrepetitorin Klavierunterricht hatte. Seine musikalischen Aktivitäten in Melkendorf gehen sicher auf diese Zeit zurück. So versah er dort einige Zeit als Autodidakt den Orgeldienst und übernahm um 1965 das Chorleiteramt beim Gesangverein 1890 Melkendorf, welches er etwa 40 Jahre lang ausübte. In dieser Zeit komponierte und arrangierte er viele Werke für gemischten Chor, teilweise auch mit Instrumentalbegleitung. 1978 erfolgte die Gründung der Melkendorfer Flöten- und Stubenmusik, für welche er auch viele Stücke arrangierte und komponierte. Ein Foto von Karl Heinz Wirz mit der Melkendorfer Flötengruppe anlässlich des 125jährigen Jubiläums des Melkendorfer Gesangvereins 2015 kann hier abgerufen werden. 1990 verlieh ihm die Stadt Kulmbach für sein soziales, kulturelles und berufliches Engagement die Kulmbacher Stadtmedaille.

Über die Instrumente, die er aus dem Fundus des Gesangverein 1833 Kulmbach rettete, ist derzeit wenig bekannt. Das Fest-Buch für die Hundertjahrfeier des Gesangvereins aus dem Jahr 1933 erwähnt aus der unmittelbaren Gründungszeit „ zwei Vorstände als Dirigenten für Gesang und Musik … erkürt. Die zwei ersten Dirigenten waren Stadtmusikus Götz und Lehrer Morgenroth“. (Fest-Buch für die Hundertjahrfeier des Gesangvereins Kulmbach 1833 am 15., 16. und 17. Juli 1933. Kulmbach o.J., S. 20.) Möglicherweise ging diese Musikabteilung 1851 in der Stadtkapelle Kulmbach auf. Von letzterer stammt sicher der Rahmen einer Lyra, hergestellt von der Sächsische Musikinstrumentenmanufaktur Schuster & Co. Markneukirchen mit der Inschrift „Gestiftet  d. Musik-Verein Kulmbach zur Erinnerung an das 50jährige Vereins-Jubiläum von seinen Ehrenmitgliedern Wilh. Flessa, Leop. Landgraf, Heinr. Püttner, Louis Püttner“ , datiert 3.  Aug. 1901. Zu den übergebenen Instrumenten, die wohl aus diesem Zusammenhang stammen,  gehört auch ein Fagott sowie mehrere Blechblasinstrumente, die zum Teil nur noch fragmentarisch erhalten sind. Es fehlen z. B. Mundstücke und auch die Bügel, Züge und Ventile müssen noch genau zugeordnet werden. Spannend ist die Frage, ob sich zum Stempelabschlag auf der Stürze der Naturtrompete noch Informationen finden lassen. Hier steht zu lesen „Gerard Brevet à Paris“. Der „Langwill-Index“ führt einen Blechblasinstrumentenbauer und -händler „Paul Gerard“ im 20. Jahrhundert in Paris auf. (Waterhouse, William (Hg.): The New Langwill Index. A Dictionary of Musical Wind-Instrument Makers and Inventors. London: Tony Bingham  1993, S. 132.)

In welchen Zusammenhang die beiden Schalmeienspiele einzuordnen sind, ist noch nicht geklärt. Schalmeien, genauer gebündelte Martinstrompeten, wurden ab etwa 1905 als Musikinstrumente eingesetzt, in der Arbeiterbewegung, bei Bergmanns- und Industriekapellen, aber auch beim Roten Frontkämpferbund. Bekannt ist zum Beispiel die Schalmeien-Kapelle des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold aus Marktschorgast. Ein Foto dieser Kapelle aus dem Jahr 1928 kann hier abgerufen werden.

In einem offenen Koffer liegt ein Blechblasinstrument mit mehreren Zubehörteilen.


Ungeklärt ist auch noch, wie der vielleicht interessanteste Fund überhaupt nach Kulmbach kam. Es handelt sich um einen großen, stabilen Koffer, in welchem ursprünglich zwei, jetzt noch ein Inventionshorn mit unterschiedlichen Bügeln zum Umstimmen des Instruments aufbewahrt werden. Das erhaltene Horn ist am Schallbecher graviert mit der Inschrift „Von dem Zechpfleger Dr. Chr. Neunhöfer“ und gegenüberliegend „Joh. Georg Lintner [Baum] in Augsburg“. Christian Neunhöfer ist eindeutig zu identifizieren als der am 10. Februar 1755 in Augsburg geborene, spätere Notar und Ratsschreiber, Verwaltungsrat und Stadtrat, verstorben am 28. Mai 1824. Er war zudem Zechpfleger in der evangelischen St.-Anna-Kirche in Augsburg, verwaltete also das Vermögen, das zu Stiftungszwecken an die Pfarrkirche floss. (Augsburgischer Compendiöser Hand-Schreib- und Sack-Calender auf das Heil-Jahr unsers Herrn Jesu Christi 1782; Augsburgischer Neu und verbesserter Stadt- und Raths-Kalender, auf das Gemeinjahr nach der Geburt unsers Heilandes Jesu Christi 1801; Ancestry.com.Deutschland, ausgewählte evangelische Kirchenbücher 1500-1971: Barfüßerkirche Augsburg). Vermutlich hat Christian Neunhöfer das Horn – für   Kirchenmusik an St. Anna? –  gestiftet. Gefertigt hat das Instrument Johann Georg Lintner. Er wurde 1766 in Tyrnau in der Slowakei (heute Trnava) geboren, erwarb sich als gelernter Kupferschmied in Italien und Frankreich Kenntnisse im Blechblasinstrumentenbau und zählte zu den führenden Handwerkern seiner Zunft im Südbayern des frühen 19. Jahrhunderts. 1793 hatte er das Bürgerrecht in Augsburg erworben und führte mindestens von da an in der Annastraße 35 (damals Haus Lit. B 256) seine Werkstatt, in der er auch seinen Sohn Georg Leonhard (1794-1859) und Johann Martin Feneberg (1806-1841) ausbildete und beschäftigte. Johann Georg Lintner verstarb 1840 in Augsburg. (https://www.wissner.com/stadtlexikon-augsburg/artikel/stadtlexikon/lintner-lindner/4631)

Der Schalltrichter eines Blechblasinstruments, der mit dem Herstellernamen Joh. Georg Lintner graviert ist.

Heidi Christ


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