Ihr Kinderlein kommet

Ihr Kinderlein kommet

Liedblatt zum Download

Das Weihnachtslied, das ich Ihnen heute vorstellen möchte, weist eine bewegte Entstehungsgeschichte auf, und es ist eines jener Lieder, die man – je nach Blickwinkel – als „fränkisch“ bezeichnen könnte: „Ihr Kinderlein kommet“.
Gehen wir mal von der heute sehr verbreiteten Version aus und stellen uns dem Henne-Ei-Problem: Was war zuerst da – die Melodie oder der Text? Um 1794/1795 hat der Komponist, Dirigent und Musiktheoretiker Johann Abraham Peter Schulz (1747–1800) die Melodie geschrieben, allerdings für den Text eines Frühlingslieds: „Wie reizend, wie wonnig ist alles umher“, besser bekannt als „Der Morgen im Lenz“ von Wilhelm Gottlieb Becker.
Die Verse von „Ihr Kinderlein kommet“ entstanden erst deutlich später, nämlich zwischen 1808 und 1810: Der gebürtige Dinkelsbühler Schriftsteller und Theologe Christoph von Schmid (1768–1854) brachte den Urtext des mit „Die Kinderlein bey der Krippe“ betitelten Gedichts zu Papier, der einige Korrekturen enthält, bis heute erhalten und auf der bavarikon-Plattform einsehbar ist. Die Weihnachtskrippe in seiner Heimatstadt Dinkelsbühl dürfte ihn zu diesem Gedicht inspiriert haben, denn im 3. Bändchen seiner „Erinnerungen“ (1853) schreibt er:

„Ich bin zu keiner Stunde des Tages durch die Kirche gegangen, ohne daß ich Leute, besonders Mütter und Kinder sowohl katholischer als evangelischer Konfession vor der Krippe stehend bemerkt hätte. Der würdige Stadtpfarrer beteuerte, vorzüglich aus Liebe zu den Kindern habe er auf diese Krippe so vieles verwendet. ,Diese für uns heilbringenden Geschichten’, sagte er, ,werden so den Kindern aufs beste anschaulich und unvergeßlich gemacht’. ,Und viele Erwachsene sind in dieser Hinsicht auch noch Kinder!’ sagte mein Vater.“

Mit der 1811 erschienenen zweiten Ausgabe der „Christlichen Gesänge zur öffentlichen Gottesverehrung“ war Christoph von Schmids Krippen-Gedicht nun einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Es sollte aber noch zwei Jahrzehnte dauern, bis dieser Text und die Weise von Schulz zusammenfanden.
In Sebastian Pörtners „Katholisches Gesangbuch für den öffentlichen Gottesdienst im Bißthume Würzburg …“ von 1831 findet sich von Schmids Gedicht zwar, allerdings ist ihm eine einleitende Strophe vorangestellt, und es wird mit der Melodie des Weihnachtsliedes „Erfreue dich Himmel, erfreue dich Erde“ kombiniert:


Hinzu kommt, dass in der nun 2. Strophe eine gravierende Änderung vorgenommen wurde: Nicht mehr die Kinderlein werden aufgefordert, zur Krippe zu kommen, sondern alle Christen, wie bereits in der Ausgabe von 1828 zu lesen ist:


Erst ab 1832 taucht „Ihr Kinderlein kommet“ in Kombination mit der Weise von Schulz auf. Aus dem Kanon der viel und gern gesungenen Weihnachtslieder ist es nicht mehr wegzudenken.
Ob das nun ein „fränkisches“ Weihnachtslied ist oder nicht, mag jeder für sich entscheiden – Christoph von Schmid wurde zwar in Dinkelsbühl geboren und ließ sich offenbar von der dortigen Weihnachtskrippe inspirieren. Aber er verließ seine Heimatstadt schon im Alter von 15 Jahren, um das Gymnasium und später die bischöfliche Universität in Dillingen zu besuchen, und seine beruflichen Lebensmittelpunkte lagen vor allem im schwäbischen Raum.

Christoph Meinel


Kommentare (0)


Kommentar schreiben:





Erlaubte Tags: <b><i><br>Kommentar hinzufügen: