Jubiläen sind langfristige Wiedervorlagen

"Jubiläen sind langfristige Wiedervorlagen" – Die Forschungsstelle für fränkische Volksmusik besteht seit 35 Jahren

von Armin Griebel und Heidi Christ


Der skurrile Aphorismus der Überschrift, den der in der Oberpfalz geborene Hermann Lahm prägte, hätte das Motto der Jubiläumsfeier zum 35-jährigen Bestehen der Forschungsstelle für fränkische Volksmusik abgeben können. Denn in diesem Sinn haben wir am Beispiel eines kleinen Heftchens mit dem Titel "Notenbuch für Johann Georg Hannamann, Bullenheim 1821" unsere Arbeitsfelder und Arbeitsweisen vorgestellt. Wir versuchten zu zeigen, woher wir Erkenntnisse gewinnen und wie wir sie mit der Öffentlichkeit teilen. Wie sich die Volksmusik entwickelt und verändert, sieht man manchmal, wenn man Dinge noch einmal in die Hand nimmt, die vermeintlich alles erzählt haben, über die man schon alles zu wissen glaubt.

Wir arbeiten mit einer effizienten Archiv-Datenbank. Trotzdem müssen unsere kleinen grauen Zellen ständig gerüstet sein für die schnelle Wiedervorlage bestimmter Lied- und Instrumentaltitel, Brauchhandlungen oder Themenbereiche. Im Laufe der Jahre bilden sich etliche Synapsen und so genügt ab und zu ein kleiner Reiz – schon fühlt man sich hingezogen, Archivbestände unter neuem Blickwinkel zu betrachten oder den neuesten Stand bestimmter Forschungen abzurufen.

1997 gaben wir zusammen mit dem Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern in Bruckmühl und maßgeblich mit Schellackplatten aus den Beständen des VMA eine CD mit Schellackaufnahmen heraus und damit machten klangliche Zeugnisse der Volksmusik um 1900 wieder zugänglich. Inzwischen besitzen auch wir eine Sammlung mit rund 6000 Schellackplatten. Wichtige Platten liegen digitalisiert vor und können über unsere Datenbank abgespielt werden. Von besonderem Interesse sind die weit über 1000 Aufnahmen regionaler Kapellen, die aus Mittelfranken, vor allem aus dem Raum der Hersbrucker Schweiz östlich von Nürnberg stammen. Sie belegen: instrumentale Volksmusik ist kein Überbleibsel längst vergangener Zeiten, sondern entwickelte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in enger Verbindung mit der modernen Gattung Blasmusik. Auch der Einfluss von Musik-Genres aus dem städtischen Milieu, die ab dem späten 19. Jahrhundert auf die ländliche Musikpraxis ausstrahlten, wird hörbar. Damals entstand nicht nur für die Vergnügungsetablissements der Großstädte Wien, Berlin und München, sondern auch für die Bierzelte der Volksfeste in Deutschland ein neues musikalisches Genre: die Unterhaltungs- und Stimmungsmusik. Maßgeblich beteiligt war ein Franke, der Nürnberger Festwirt und Kapellmeister Georg Lang (1866–1904). Er gilt als Erfinder der Riesenbierzelte. Das erste hatte er 1898 beim Münchener Oktoberfest aufgestellt. Mit den Bierzelten kamen sogenannte Bauernkapellen in Mode, reisende Musikkapellen, die bis zu 40 Mann stark in Oberlandler Trachten auftraten, die Vorläufer heutiger Bierzeltkapellen. Sie machten den bis dahin auf dem Unterhaltungssektor führenden Militärkapellen Konkurrenz, mit denen sie in Repertoire und Qualität vergleichbar waren. Auf Schallplattenaufnahmen aus der Zeit um den ersten Weltkrieg firmieren die Blechbesetzungen mit Klarinetten als "Bauernkapellen". Dort sind Oberlandlerkapellen allerdings meist nur in stark reduzierter Besetzung von 10 bis 12 Mann zu hören.

Georg Lang, der "Krokodilwirt" aus Nürnberg inmitten seiner Oberlandler-Kapelle
Georg Lang, der "Krokodilwirt" aus Nürnberg inmitten seiner Oberlandler-Kapelle

Nach dem Vorbild von "Georg Langs Original-Oberlandlern" formierten sich im Großraum Nürnberg ähnliche Kapellen, sodass in den Münchener Festzelten vorübergehend die fränkischen "Oberlandler" überwogen. In mittelfränkischen Stadtpfeifen ausgebildete Landmusiker fanden in den reisenden Kapellen saisonal Beschäftigung. Das Typenklischee ländlicher Musikanten als jodelnde und schuhplattelnde Bauern nahm von hier seinen Ausgang. Es blieb als Teil städtischer Unterhaltungskultur lange Zeit unbeanstandet. Erst die Heimatschutz- und Trachtenvereinsbewegung, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts konstituierte, später dann die Volksmusikpflege, nahmen die kostümierten Bayern und ihr krachledernes Auftreten als Verunglimpfung der bayerischen Art wahr und kämpften gegen diese Klischees.

Die Benennung "1. Fränkische Bauernkapelle Konrad Dorn" mag als Reflex auf die sogenannten Oberlandler-Bauernkapellen Nürnberger und Münchener Provenienz erfolgt sein. Die Kapelle Dorn aus Happurg, ebenso "Die Alten" aus Alfeld oder die Kapellen Brunner und Klein aus der unmittelbaren Oberpfälzer Nachbarschaft profitierten einerseits vom Bauernklischee der großstädtischen Unterhaltungsmusik. Sie pflegten aber andererseits einen unverkennbaren regionalen Stil, der auf den Schellackplatten dokumentiert ist, die Liebhaber und Abnehmer bis nach Übersee fanden. (Tonbeispiel: Mariechen-Walzer, Kapelle Brunner, Hirschbach (1913) )

Die Happurger Bauernkapelle Dorn bei einer Gastspielreise zum Volksfest nach Mainz 1910, ausnahmsweise in der Rolle als Oberlandler
Die Happurger Bauernkapelle Dorn bei einer Gastspielreise zum Volksfest nach Mainz 1910, ausnahmsweise in der Rolle als Oberlandler

Alfelder Musikanten als Hochzeitsmusik um 1900
Alfelder Musikanten als Hochzeitsmusik um 1900


Wir glauben, dass die 100 Jahre alten Schellack-Aufnahmen, die zu ihrer Zeit nicht zu wissenschaftlichen Zwecken, sondern in kommerzieller Absicht entstanden, damaliges Musizieren besser abbilden als die seit den 1920er-Jahren für den Rundfunk entstandenen Aufnahmen. Der Vergleich mit heutigen Rundfunk- und Schallplattenaufnahmen, aber auch mit unseren eigenen bei Kirchweihen und ähnlichen Anlässen gemachten Feldaufnahmen des tradierten Repertoires und seiner Spielweise, ist lohnenswert und spannend.

Was die damalige Aufführungspraxis angeht, kann man davon ausgehen, dass die Musikanten vor dem Aufnahmetrichter so musizierten, wie sie es vom Tanzboden her gewohnt waren. Im Stegreifspiel beobachten wir bis heute, dass aus der momentanen Situation heraus erste und zweite Teile mit einem meist sanglichen Trio variabel kombiniert werden. Es werden also nicht "fertige" Stücke (Schottische, Ländler, Dreher etc.) in immer gleicher Abfolge gespielt. In der Aufnahmesituation mussten die Musikanten keine besonderen Regeln beachten. Sie postierten sich so vor dem Trichter, dass ein ausgewogenes Klangbild entstand. Lediglich die Spieldauer einer Platte, maximal drei Minuten, hatte ihr Anführer im Auge zu behalten, um mit dem Stück rechtzeitig zum Schluss zu kommen. Anders war die Situation bei den Rundfunkaufnahmen. Hier war eine gepflegte konzertante Klang-Ästhetik gewollt, was mit den Mitteln der tradierten Stegreif-Praxis kaum zu erreichen war, wenn etwa das stimmführende Instrument allein begann und die Abfolge der Teile nicht vorher abgesprochen war. In der Konsequenz führte dies zu Standardisierung in Spiel und Repertoire.


Auch für die Volksmusikpflege sind solche Zusammenhänge interessant. Seit einigen Jahren hat sich, auf Initiative des Volksmusikberaters für Unter- und Mittelfranken Franz Josef Schramm, das Lernen nach Schellack-Aufnahmen bewährt. Als Forschungsstelle sammeln, archivieren und digitalisieren wir die historischen Aufnahmen und untersuchen deren Kontext. Bei Lehrgängen des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege, die auch viele Mitglieder der drei Arbeitsgemeinschaften Fränkische Volksmusik besuchen, werden gelegentlich auch unsere Forschungsergebnisse eingesetzt, um den heutigen Musikanten nicht nur Repertoire und Musizierstil, sondern auch die Arbeitsbedingungen früherer Musikanten zu zeigen. Wurde noch vor wenigen Jahren in weiten Kreisen die Ausübung von Volksmusik als Aufgabe für Liebhaber und Idealisten betrachtet, und war Professionalität verpönt, so trugen die Forschungen über Bauernkapellen dazu bei, die in den letzten Jahren zunehmende Professionalisierung von Teilen der Volksmusik-Szene neu zu sehen und zu bewerten.

Label einer Schellakplatte, aufgenommen 1913 in Nürnberg

Label einer Schellakplatte, aufgenommen 1913 in Nürnberg

Wir richten unsere Aufmerksamkeit auch auf Formen musikalischen Handelns, die nicht primär musikalisch motiviert sind. Ein Beispiel dafür und zugleich "typisch fränkisch" ist die Kirchweih mit ihren Bräuchen. Die Kirchweihfeste einiger Dörfer im Schweinfurter Umland werden bis heute am "Plan", mitten im Dorf, veranstaltet. Im Mittelpunkt steht der "Plantanz", bei dem ausschließlich Rundtänze getanzt werden. Die sonst nur noch in der Volkstanzpflege üblichen Tänze sind durch ihre brauchmäßige Verwendung fast jedermann geläufig.

Plantänze zur Kirchweih sind seit der Mitte des 17. Jahrhunderts belegt. Ihre rechtliche Bedeutung als zeremonieller Ausdruck herrschaftlichen Friedgebots zu Beginn der Kirchweih verloren sie mit dem Ende der alten Herrschaftsverhältnisse Anfang des 19. Jahrhunderts. Heute sind es vor allem zwei protestantisch geprägte Dörfer in unmittelbarer Nähe Schweinfurts, die über die Region hinaus für ihren hochzeremoniellen "Plan" berühmt sind: Sennfeld und Gochsheim. Beide Orte feiern Kirchweih und Plantanz alljährlich am selben Termin, als Dankfest in Erinnerung an die Wiedererlangung der Reichsunmittelbarkeit, die sie im Dreißigjährigen Krieg verloren hatten. Daher hat der Brauch in beiden Orten von Anbeginn den Charakter einer Schaustellung der Dorfgemeinschaft und ihrer Rechtsverfassung.

Nach dem Verlust der Privilegien mit dem Übergang an Bayern wurde das Friedensfest mit Plantanz in den beiden "Reichsdörfern" nicht aufgegeben. Die "Bavaria. Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern" konstatiert Mitte des 19. Jahrhunderts: "Den Gochsheimern und Sennfeldern ist es ein Erinnerungsfest an die verschwundene Herrlichkeit ihrer Reichsunmittelbarkeit." Seitdem verstärkten sich Historisierungstendenzen, die zur Verfestigung der Festelemente und Konstanz des Ablaufs beigetragen haben.

Gochsheimer Plantanzgesellschaft 1902

Gochsheimer Plantanzgesellschaft 1902

Abgesehen von den Abzeichen der Plantanzpaare, deren auffälligstes Requisit der turmartig mit Zweigen, Blumen und Bändern geschmückte Zylinder der Planburschen ist, hatte sich für diesen Anlass bis ins 20. Jahrhundert keine besondere Kleiderordnung herausgebildet. Während die jungen Damen bis zum Aufkommen von Landhausmode und Dirndlkleidung in den 1980er-Jahren der aktuellen Mode entsprechend gekleidet erschienen, kam es bei den Burschen zur Fixierung der zeremoniellen Kleidung, deren augenfälliges Element der lange schwarze Gehrock ist. Für "außerplanmäßige" Plan-Aufführungen zu dynastischen Jubiläen des bayerischen Königshauses hatten die Veranstalter im 19. und frühen 20. Jahrhundert die Planpaare mit Trachten ausstaffiert. Dazu griff man bei den Männern auf die im 18. Jahrhundert übliche helle Kniehose, rote Weste und als Kopfbedeckung auf den Dreispitzhut zurück. Die Tracht der Planmädchen orientierte sich an der im Schweinfurter Gau bis ins 20. Jahrhundert verbreiteten "bäurischen" Festkleidung. In Sennfeld wird Tracht seit 1922 vereinsmäßig getragen. Als der Trachtenverein in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Organisation des Plans in Sennfeld übernahm, bürgerte sich dessen Tracht als Festkleidung für die Planpaare ein.

Gochsheimer Plantanzpaare kurz nach dem Ersten Weltkrieg

Gochsheimer Plantanzpaare kurz nach dem Ersten Weltkrieg

Ähnlich wie bei der Kleidung kam es im Laufe des 20. Jahrhundert auch bei den Tänzen zur Fixierung des Repertoires und zur Beschränkung auf Rundtänze. Waren es vorher die zu ihrer Zeit aktuellen Tänze, die das Tanzgeschehen auf dem Plan bestimmten, so besteht die "Plan-Tour" – vermeintlich "schon immer" – aus der immer gleichen Abfolge von Walzer, Rheinländer-Polka und Schottisch. Dazu kommt zwischendurch eine fränkische Spezialität, der Dreischritt-Dreher, bei dem Tänzerin und Tänzer um eine Schrittphase versetzt die gleiche Dreischrittfolge zu einer geradtaktigen Dreher- oder Galoppmelodie tanzen. Dieser Tanz stellt hohe Anforderungen an das tänzerische Können der Paare und erfordert viel Übung.

Anschlag am Planbaum in Sennfeld 1995

Anschlag am Planbaum in Sennfeld 1995

Für die volkskundliche Volkstanzforschung und die fränkische Volkstanzpflege erwies sich die nie abgerissene Plantanztradition in der Region um Schweinfurt als Refugium alter Tänze und spezieller Tanzformen. Zusammen mit Kirchweih und Plantanz hat sich eine lebendige dörfliche Tanzkultur erhalten, die generationenübergreifendes Tanzen ermöglicht und für entsprechende Aktivitäten in der Region vorbildlich wurde. Wie stark der Plantanz in der Bevölkerung der Region verwurzelt ist, kann man beobachten, wenn der Plan nach den zeremoniellen Touren für die Allgemeinheit geöffnet ist: Während Einheimische der verschiedenen Generationen Tanzhaltung einnehmen und alle gemeinsam wie auf ein geheimes Kommando gleichzeitig mit dem Tanzen beginnen, fangen ortsfremde Tanzpaare, die dies noch nicht kennen, gleich beim Einsetzen der Musik an zu tanzen. In Sennfeld ist es der Trachtenverein, der als traditionsbewusster Ausrichter des Plans seit vielen Jahrzehnten für das Erlernen und Einüben der Tänze und die Kontinuität der Brauchausübung sorgt, in Gochsheim die Burschenschaft.

2015 bewarben sich beide Dörfer gemeinsam um Aufnahme in die bayerische UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes. Im Vorfeld hatten sie die Forschungsstelle um ein gutachtliches Empfehlungsschreiben zur Unterstützung ihrer am Ende erfolgreichen Bewerbung gebeten. 2016 wurde das Friedensfest auch in das bundesweite Verzeichnis aufgenommen.

Wir haben den "Plan" in den letzten 35 Jahren immer wieder, auch teilnehmend, besucht und konnten beobachten, wie der Festbrauch behutsam, aber kontinuierlich den Herausforderungen der Gegenwart angepasst wurde. Nicht mehr zeitgemäße Regeln und Teilnahmekriterien wurden aufhoben, z. B. die Zugehörigkeit zur evangelischen Konfession und zu einem bestimmten Berufsstand. Nur auf diese Weise konnte auch der gravierende Wandel der Bevölkerungsstruktur (von Gemüsebauern zu Pendlern ins nahegelegene Schweinfurt) in der Brauchgestaltung berücksichtigt werden. Heute ist allen unverheirateten Alt- und Neubürgern entsprechenden Alters die Möglichkeit geboten, das alljährliche Friedensfest mit Plantanz mitzugestalten. Damit leistet das Fest einen wichtigen Beitrag zur Integration und zur lokalen und regionalen Identitätsfindung. (Tonbeispiele 2 und 3: Gochsumer Kerwa-Marsch, Die Hadergässer (1983) und Trio aus "G'stellte Maderln", Kapelle Jais, München (1914) )

Teilnehmende Beobachtung bei der Sennfelder Plankirm 2015

Teilnehmende Beobachtung bei der Sennfelder Plankirm 2015

Ganz ähnlich und doch auch wieder völlig anders ist die Alfelder Kirwa. Vieles, was über Kleidung, Tanzrepertoire, die Beachtung eines Zeremoniells, den identitätsstiftenden Effekt und die soziokulturelle Bedeutung bei den unterfränkischen Plankirchweihen zu berichten ist, gilt auch für die Kirchweih im mittelfränkisch-oberpfälzischen Grenzgebiet. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Eingliederung in das Königreich Bayern im Jahre 1806. Der Ort Alfeld wurde damit nach mehr als 300jähriger Teilung infolge des Landshuter Erbfolgekrieges "wiedervereinigt" und bayerisch. Seither verbindet an der Kirchweih ein langes Seil symbolisch die beiden Ortshälften. Das Seil wird zwischen zwei Bergkuppen über die Dächer der Häuser gespannt. In der Mitte hängt der "Goldene Buschen" herab, ein geschmücktes Fichtenbäumchen, das von den Kirchweihpaaren "ausgetanzt" wird. An den fünf Kirchweihfesttagen spielt Musik unterschiedlicher Stilrichtungen eine große Rolle. Der traditionellen Musik, die unter anderem beim Frühschoppen am Kirchweihmontag sowie bei den Brauchhandlungen des "Baumaustanzens" erklingt, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.

Ungebrochene Zwiefachen-Tradition in Alfeld: Label einer Schellackplatte, aufgenommen um 1910

Ungebrochene Zwiefachen-Tradition in Alfeld: Label einer Schellackplatte, aufgenommen um 1910

Sind es in Sennfeld der Trachtenverein und in Gochsheim die Burschenschaft, denen die tragende Rolle als Traditionshüter zukommt, so sind es in Alfeld die Musikanten, die sich auf ungebrochene Musiktradition seit 1851 berufen können und heute quasi als Zeremonienmeister auftreten. Der Tanzkanon in Alfeld entspricht im wesentlichen dem in Sennfeld und Gochsheim. Allerdings ist der Zwiefache, in dieser Region "Bairischer" genannt, überliefertermaßen unverzichtbarer Bestandteil instrumentaler, tänzerischer und vokaler Musikausübung. Auch weit über Kirchweihbrauch und Volksmusikszene hinaus feiert die im Jahr 2016 in das bundesweite Verzeichnis immateriellen Kulturerbes aufgenommene Musikgattung "Zwiefache" hier fröhliche Urständ. Kein Wunder also, dass die "Alfelder Musikanten" sich bei ihrer 2016 erschienenen CD komplett dem Zwiefachen verschrieben haben und sowohl – via Schellacks – überlieferte als auch neugemachte Melodien eingespielt haben. (Tonbeispiele 4 und 5: Der krumme Neuner, Oberpfälzer Bauernkapelle Klein (um 1909) und Zimmersmoad, Alfelder Musikanten (2007) )

Die Alfelder Kirchweih. Illustration zum Artikel aus der Gartenlaube von 1901

Die Alfelder Kirchweih. Illustration zum Artikel aus der Gartenlaube von 1901

Alfelder Kirwapaare beim "Baumaustanzen" 1974

Alfelder Kirwapaare beim "Baumaustanzen" 1974

Teilnehmende Beobachtung als Kirwamoidl beim "Baumaustanzen" in Alfeld 1998

Teilnehmende Beobachtung als Kirwamoidl beim "Baumaustanzen" in Alfeld 1998

Die Brauchhandlungen scheinen generell bis in die Gegenwart nur geringen Veränderungen unterworfen gewesen zu sein. Ein Bericht aus der "Gartenlaube" von 1901 schildert die Vorgänge ähnlich, wie sie sich heutigen Kirchweih-Besuchern präsentieren. Tondokumente aus über 100 Jahren belegen die Kontinuität des Gebrauchsmusik-Repertoires und des Vortragsstils und zeigen Veränderungen in der Besetzung auf. Die frühe Instrumentalisierung des Brauches für Tourismus- und Folklorezwecke hat ganz offensichtlich der Beibehaltung und Pflege wichtige Dienste geleistet. Nachweisbar sind touristische Busfahrten von Hersbruck aus zum "Baumaustanzen" in Alfeld schon in den 1920er- und 1930er-Jahren. Etwa seit dieser Zeit wurde der Alfelder Kirwabrauch bei Trachtenfesten und Festzügen präsentiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg rückte die Kirwa wiederholt in das Interesse der Medien: Hörfunkreportage 1958, Sichtung für das folkloristische Rahmenprogramm der Olympischen Spiele 1972, "Unter unserem Himmel" 1976, BR-Kirchweihfilm 1996, BR-Sendung 2006. Zwischen 1999 und 2010 fanden seitens der Forschungsstelle jährlich Feldforschungen zur Alfelder Kirwa statt. 2011 leiteten wir eine fünftägige Exkursion für Studierende der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien. Seither findet ein reger Austausch zwischen uns und der Alfelder Bevölkerung statt. Unter anderem können Interessierte auf der Internetseite der "Alfelder Musikanten" Auszüge aus der Dissertation "Musikantenhandwerk" nachlesen, die sich auch intensiv mit der Tradition der Alfelder Musikanten und der Alfelder Kirwa beschäftigt hat. Im November 2016 bildete die 2011 erschienene Publikation die Basis für die Facharbeit der Alfelder Gymnasiastin Lena Sebald, die bedeutsame Ereignisse und Veränderungen in der Alfelder Musiktradition bis ins vergangene Jahr beinhaltet und ebenfalls auf der Internetseite zugänglich ist.

Das Verständnis, wie Fränkische Volksmusik zu sein hat, hat sich in den vergangenen Jahren verändert und geöffnet. Volksmusik ist in Franken nicht omnipräsent wie anscheinend im bayerischen Oberland. In einigen Orten und Regionen besetzt sie sehr markant eine Nische und erklingt von da ganz selbstverständlich neben anderen Musikstilen. Damit gewinnt die Fränkische Volksmusik neues Publikum und mehr Raum im öffentlichen Leben.

 

Der Aufsatz wurde zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift "Informationen aus dem Volksmusikarchiv" Nr 2 / 2017 / August 2017 bis November 2017.

Empfohlene Zitierweise:

Armin Griebel, Heidi Christ: "'Jubiläen sind langfristige Wiedervorlagen' – Die Forschungsstelle frür fränkische Volksmusik besteht seit 35 Jahren", in: Forschungsstelle für fränkische Volksmusik, URL http://www.volksmusik-forschung.de/ (02.08.2017)

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